Satanismus ist keine gemeinschaftliche Religion
Magister Bill M.
Ursprünglich verfasst 2006 und veröffentlicht in The Devil's Diary. Überarbeitet Mai 2015.
Der Hochkonvent am 6.6.06 in Los Angeles war ein ausgesprochen außergewöhnliches Ereignis, an das ich mich immer erinnern werde. In den darauffolgenden Wochen wurde ich von einigen Leuten gefragt, warum die Church of Satan solche offiziellen Großereignisse nicht öfters veranstaltet. Einige fragten sogar, „Wann ist denn die nächste Veranstaltung?“ Nun, so funktioniert unsere Organisation nicht. Das heißt jetzt nicht, dass Mitglieder der Church of Satan niemals persönlich zusammenkommen. Als Mitglied habe ich selber mehr als meinen gerechten Anteil nicht nur an satanischen Gruppenritualen, sondern auch an satanischen Hochzeiten, satanischen Begräbnissen, Aufführungen von Filmen, die von Satanisten gedreht wurden, mit der Church of Satan in Verbindung stehende künstlerische Aufführungen, Musikaufführungen, Partys von Radio Free Satan, Geburtstagsfeiern von Mitgliedern und unzähligen anderen Zusammenkünften gehabt. Aber ich weiß, dass, wenn es zu solchen Treffen kommt, ich eher die Ausnahme denn die Regel bin. Die meisten anderen Mitglieder der Church of Satan treffen sich kaum jemals persönlich mit anderen Mitgliedern, und wenn, dann aus freien Stücken. Hier sind einige der Gründe, warum wir die Church of Satan nicht andauernd große offizielle und öffentliche Zusammenkünfte abhalten sehen:
In erster Linie verlangt Satanismus als Religion keine Versammlungen von Gruppen. Satanismus ist schlicht und einfach keine dieser Religionen, wo sich Anhänger regelmäßig jede Woche zu Gottesdiensten zusammenfinden oder gemeinschaftlich spezielle Traditionen zu bestimmten Feiertagen pflegen. Offensichtlich ist die Church of Satan keine „Kirche“ im Sinne eines physikalischen Gebäudes, sondern eher im allgemeineren Sinne des Wortes eine Gruppe von Menschen, die die Zugehörigkeit zur selben Religion (Satanismus) teilen. Die Church of Satan braucht keine Kirchen, wo sich die Gemeinde versammelt, oder verschiedene regionale Filialen. Satanisten wissen, dass, wenn sie ein satanisches Ritual aufführen möchten, entweder alleine oder in einer Gruppe mit anderen Satanisten, die Satanische Bibel alle Informationen beinhaltet, die sie dafür brauchen. Man benötigt dazu weder Zelebranten noch spezielle Gebäude oder offizielle heilige Reliquien.
Genauso akzeptieren Satanisten, dass der Wunsch nach und die Häufigkeit von satanischen Ritualen bei verschiedenen Satanisten unterschiedlich ist. Es wäre dumm, anzunehmen, dass die Administration der Church of Satan sich das Theater antut, weltweit Gottesdienste zu planen und abzuhalten für Mitglieder, die dazu aufkreuzen oder auch nicht. Viel wichtiger, Satanismus ist keine Religion für Menschen, die man bei der Hand nehmen muss, um das zu tun, was sie als einzelne Individuen machen wollen. So macht es Sinn, dass die individuellen Mitglieder, die solche Zusammenkünfte durchführen wollen, sich selbst darum kümmern, diese zu organisieren und nicht die Zentrale der Church of Satan. Wie der alte Spruch schon sagt, man bekommt von einer Mitgliedschaft das, was man aus ihr macht.
Es lohnt sich aber, hier zu erwähnen, dass für Satanisten, die wünschen, zu netzwerken und sich mit anderen Satanisten zu treffen, die Mitgliedschaft in der Church of Satan schon gewaltige Vorteile bringt. Wie jede Organisation erleichtert sie es, dass sich gleichgesinnte Menschen treffen können und filtern den Rest weg. Unsere Mitglieder wissen zum Beispiel, dass dadurch, dass zu einem Treffen nur registrierte Mitglieder der Church of Satan zugelassen sind, ahnungslose Teufelsanbeter, Illuminaten-Verschwörungstheoretiker, gefährliche christliche Fanatiker und anderes unerwünschtes Pack ausgefiltert wird, die sonst sicher auf eine Anzeige in Internetforen reagieren würden, in der Teilnehmer für ein „satanisches Ritual“ gesucht werden. Dieser Vorteil der Mitgliedschaft erstreckt sich sogar auf on-line Interaktionen, da die Mitglieder der Church of Satan wissen, dass Internetforen, die nur für Mitglieder zugelassen sind, eine ungleich höhere Qualität ihrer Inhalte aufweisen als satanische Foren, die allgemein öffentlich zugänglich sind. Letztere ziehen oftmals Prediger an, Spammer, anti-satanische Trolle, Personen mit Fragen, die schon in den FAQ-Dokumenten der Church of Satan enthalten sind, ausgewachsene Wahnsinnige und ähnliches.
Viele Satanisten wollen ihre religiöse Zugehörigkeit geheim halten. Satanisten schämen sich nicht dafür, Satanisten zu sein, aber wir kennen die Realität der Vorurteile, die viele Menschen gegen jemanden haben könnten und auch haben, der als Satanist bekannt ist. Wir haben das nur allzu gut in der Zeit der hysterischen satanischen Panik in den 1980ern kennen gelernt. Obwohl es viele Satanisten gibt, deren Karriere und Lifestyle es ihnen erlaubt, öffentlich bekennende Satanisten zu sein, trifft das nicht auf alle Satanisten zu. So möchten einige lieber ihre Zugehörigkeit geheim halten, um ihre Karriere, ihre familiären Beziehungen und ihre persönliche Sicherheit in der Gesellschaft nicht zu gefährden. Daher kann es im besten Interesse eines Satanisten liegen, die Teilnahme an Veranstaltungen mit Bezug zu Satanismus zu vermeiden, die noch dazu das Interesse von Medien wecken, oder zumindest solche zu meiden, bei denen eine Menge Gäste Bilder mit ihren Smartphones aufnehmen und dann hochladen. Die Church of Satan respektiert die Privatsphäre ihrer Mitglieder, besonders im Lichte der satanischen Tugend der Selbsterhaltung und im Bewusstsein der satanischen Sünde des kontraproduktiven Stolzes.
Sicherheit ist eine berechtigte Sorge. Das geht Hand in Hand mit der Entscheidung, seine Zugehörigkeit geheim zu halten und ist vielleicht der wichtigste Punkt, der gegen große, häufige und öffentliche Zusammenkünfte spricht. Die Ankündigung solcher großen satanischen Zusammenkünfte könnte womöglich so einen religiösen Wahnsinnigen dazu motivieren, mit einer umgeschnallten Bombe zu erscheinen, nur um uns zu zeigen, wie „explosiv” Jesus uns liebt. Ich weiß, dass wir dafür gesorgt haben, dass in der Nacht des 6.6.06 jede Menge Polizei und Bombenspürhunde vor Ort waren, dazu gab es noch eine beschränkte Höchstzahl von Teilnehmern und andere Sicherheitsmaßnahmen.
Viele Satanisten sind aus ihrer Natur heraus sowieso keine besonders sozialen Geschöpfe. Einige sagen sogar, dass sie es einfach hassen, die Stadt zu verlassen, oder Schulterschlüsse hassen oder gesellschaftliche Zusammenkünfte praktisch jeglicher Art. Tatsächlich ist es nicht gänzlich unbekannt, dass ein Mitglied der Church of Satan womöglich sein ganzes Leben lebt, ohne jemals ein anderes Mitglied persönlich getroffen zu haben. Solche Mitglieder haben ihre eigenen Gründe, warum sie der Church of Satan beigetreten sind, aber gesellschaftliches Netzwerken war keiner davon.
Bloß weil zwei Leute Satanisten sind, heißt das nicht, dass sie miteinander auskommen. Tatsächlich sind Mitglieder nicht verpflichtet, sich zu vertragen, es wird nicht einmal erwartet. Das ist ein natürliches Nebenprodukt davon, dass man so viele ausgeprägte Individuen hat, die, obwohl sie sich im Kern dieselbe Philosophie zu Eigen machen, persönlich ihren Satanismus auf drastisch unterschiedliche Arten manifestieren. Wenn zwei Satanisten persönliche Konflikte miteinander haben, so wird empfohlen, dass sie sich einfach wie erwachsene Menschen benehmen und einander aus dem Weg gehen. Die Schlussfolgerungen daraus für die Organisatoren von Zusammenkünften sind wohl offensichtlich, ganz zu schweigen von den Teilnehmern. Das bringt einen anderen Punkt hervor:
Was für einen Satanisten unterhaltsam ist, kann für einen anderen belastend sein. Angenommen, man schafft es, eine große Zahl von Satanisten zusammenzubringen, und das noch dazu regelmäßig, so stellt sich die Frage, von welcher Form diese Zusammenkünfte sein sollen. Wir haben unsere Standardzeremonien in der satanischen Bibel und den satanischen Ritualen, aber was ist mit anderen Aktivitäten? Bei so vielen starken Individualisten ist es lächerlich, zu glauben, dass es eine Art des gesellschaftlichen Zusammenkommens gibt, die alle als unterhaltsam erleben.
Satanismus ist kein Selbstzweck und wir sind keine Medienhuren. In vergangenen Jahren haben sich im Internet Besucher anlockende Artikel stark vermehrt, in denen über angebliche Satanisten berichtet wurde, die öffentlich protestieren oder andere Stunts in der Öffentlichkeit aufführten, um christliche Fundamentalisten zu ärgern. Einige dieser Leute haben sich nicht einmal selbst als Satanisten gesehen, sondern beschrieben sich bloß selber als Atheisten, die zum Scherz als Karikaturen von Satanisten verkleidet waren, bloß zum Zweck des Protests, nicht unähnlich wie einige atheistische Demonstranten vorgeben, die religiöse Parodie der „Kirche des fliegenden Spaghetti-Monsters“ zu verehren, um Kreationisten herauszufordern. Andere nennen sich zwar Satanisten, aber ihre Aktionen zeigen, dass sie den Anschluss verpassen, wenn es um Satanismus geht (siehe dazu den Text “Mirror, Mirror” von Magus Peter H. Gilmore [in engl. Sprache, Anm. d. Übers.]).
Die Church of Satan ist keine Gruppe von Lobbyisten und so unternehmen wir auch keinerlei Anstrengungen, um gemeinsam Demonstrationen zu veranstalten. Tatsächlich ist die Idee einer satanischen Lobbygruppe ziemlich widersprüchlich in sich. Zuallererst hat die Church of Satan keine offizielle politische Position, da sie politische Standpunkte den einzelnen Mitgliedern überlässt. Außerdem, wie bereits gesagt, sehen Satanisten Satanismus als Werkzeug, nicht als Selbstzweck. Satanismus ist eine der wenigen Religionen, die klar sagt, dass sie nicht für alle und jeden ist. Wir wissen, dass es keinen wirklichen Zweck hat, zu versuchen, „gleiche Sendezeit” für satanische Krippenspiele zu erhalten, Satanismus für die Masse schmackhaft zu machen oder zu versuchen, Satanismus in eine Zivilrechtsangelegenheit umzuwandeln. Über die Jahrzehnte haben wir selbsternannte „satanische“ Gruppen gesehen, die all diese Dinge versucht haben und, wenig überraschend, schaffen sie niemals irgendwas anderes als Lärm zu produzieren. Die Quintessenz hier ist, dass eine Protestversammlung das letzte ist, was man erwarten sollte, das die Church of Satan als Treffen organisiert.
Außerdem braucht es keinen „offiziellen Event”, um sich zu treffen. Wie zu Anfang dieses Essays erwähnt, besteht immer die Möglichkeit, sich mit anderen Satanisten zu treffen. Und obwohl die Church of Satan kein Gesellschaftsverein ist, haben viele Satanisten durch ihre Zugehörigkeit immer andere mit den gleichen Interessen getroffen und es haben sich in der Folge unglaubliche Freundschaften entwickelt. Bei mir war es jedenfalls so. Aber viele, so wie auch ich, haben kein Interesse daran, jeden Ausflug oder jede Geburtstagsparty als eine „offizielle Church of Satan Konklave” zu markieren, für alle zugänglich. Einige der anderen oben angeführten Gründe sollten dabei helfen, zu verstehen, warum.
Zusammengefasst macht es keinen Sinn für die Church of Satan, große, häufige Zusammenkünfte ihrer Mitglieder zu haben. Die oben angeführten Gründe reichen von Aspekten, die unpraktisch sind bis hin zu Dingen, die konträr zu den Prinzipien des Satanismus sind. Trotzdem, egal wie oft erklärt wird, was die Church of Satan ist und was nicht, einige Menschen ziehen es vor, absichtlich unwissend zu bleiben. Das trifft besonders auf die Menschen zu, die zwanghaft auf Anton LaVey oder die Church of Satan einschlagen. Sie denken fälschlicherweise, dass die Church of Satan dauernd und aktiv Rituale für ihre Mitglieder abhalten sollte. Sie scheinen die Idee nicht zu verstehen, dass eine einmalige Mitgliedsgebühr eine Mitgliedsgebühr ist und keine Dienstleistungsgebühr. Sie glauben fälschlicherweise, dass wir eine Verpflichtung haben, die Opferkarte auszuspielen und als öffentliche Plage für den Medienzirkus zu agieren. Wenn sie nicht sehen, dass die Church of Satan diese Dinge macht, schlussfolgern sie unwissentlich, dass wir als Organisation gar nichts „machen”.
Wie bereits dargelegt ist die Church of Satan keine „Kirche” im Sinne eines Gebäudes, wo die Menschen wöchentlich zum Beten hingehen. Es ist eine Clique von Individuen und eine Gesellschaft sich gegenseitig mögender Macher im echten Leben, die für gewöhnlich die Prinzipien, die in der satanischen Bibel dargelegt sind, annehmen und anwenden. Wenn man sehen möchte, was die Church of Satan „macht“, muss man schauen, was ihre Mitglieder machen. Der offizielle Newsfeed zeigt jede Woche schöne Beispiele von Mitgliedern, die bewusst die Prinzipien des Satanismus in ihrem Leben anwenden, um auf verschiedene Arten greifbare Ergebnisse zu erreichen. Und das sind nur diejenigen, die sich dafür entscheiden, das der Church of Satan zum Veröffentlichen zu überlassen! Viele Mitglieder sind da draußen unterwegs und halten die Welt in Schwung auf Wegen, die erschwert werden könnten, wenn ihr Publikum von ihrer Zugehörigkeit wüsste. Wir verschwenden nicht unsere Zeit damit, uns neue Arten auszudenken, wie man Christen verprellen kann. Und auch wenn Events wie der 6.6.06 und andere offizielle „Konklaven” bei unseren satanischen Kollegen lebenslange Eindrücke hinterlassen können, wissen wir doch um die Stärke, in den Schatten tätig zu sein. Wir sind in der echten Welt unterwegs, wenden Satanismus für unsere beruflichen Laufbahnen und die Leidenschaften unseres Lebens an, um uns als Individuen vorwärts zu bringen. Wir erschaffen als Musiker Musik, schreiben und veröffentlichen als Autoren Bücher, erzielen als Ingenieure Fortschritte in der Technik, erschaffen als Künstler Kunstwerke, dienen als Gesetzeshüter und als Soldaten, wenden als Anwälte Recht an, erschaffen unsere eigenen Fernseh- und Radioshows, ziehen Kinder groß, arbeiten im Tierschutz, betreiben professionell wissenschaftliche Forschung und vieles mehr. Mitglieder der Church of Satan sind sich dessen voll bewusst, wenn sie andere Mitglieder persönlich treffen und ihre Geschichten anhören, was diese in ihrem Leben so machen. Ich weiß, dass ich es bin. Das ist der Grund, warum wir es eine „Vereinigung sich gegenseitig Mögender” nennen. Wie bei jeder anderen Religion haben organisierte gemeinsame Zeremonien ihren Platz und Zweck, so wie auch andere große gemeinschaftliche Events ihre Vorteile und Ziele haben. Aber so wie die Herde dumm genug ist, um fälschlicherweise sensationslüsterne Schlagzeilen in den Nachrichten als die einzigen Aktivitäten von „Satanisten” wahrzunehmen (oder, verallgemeinernder, Mediales als Realität ansehen), wissen die Mitglieder der Church of Satan, dass die wahren Stärken in individuellen und gemeinschaftlichen Aktionen liegen, nicht jedoch in Versammlungen.
So genießt die seltenen und bereichernden Zusammenkünfte mit anderen Mitgliedern der Church of Satan, wenn ihr euch zur Teilnahme entschließt. Schätzt sie als das, was sie sind: besondere Treffen, die dazu dienen sollen, ein spezielles Datum an passend gewählten Orten zu markieren, vor Außenstehenden geheim gehalten, bis sie sicher von den Mitgliedern unserer Clique genossen worden sind!
Mit freundlicher Genehmigung von Magister Bill M. und der Church of Satan. Alle Rechte vorbehalten.