Selbstverwirklichung - Die Essenz des Satanismus
Magus Peter H. Gilmore
Im Satanismus geht man davon aus, dass jeder das Universum um sich herum nach besten Kräften wahrnimmt. Wir bewerten es und haben unsere eigene subjektive Perspektive auf die Weite des Kosmos und die Mechanismen, die ihn bewegen. Wir untersuchen auch die Gesellschaften, die von den Menschen geschaffen wurden, die unseren Globus bevölkern, und wie wir uns entscheiden könnten, mit diesen sozialen Konstrukten zu interagieren. Diese informierte Entscheidung ist unsere Pflicht, damit wir nicht darin enden, in vorherrschende Paradigmen hineingedrängt zu werden.
Wir Satanisten schätzen in erster Linie uns, daher ist unsere Perspektive eine, die uns in den Mittelpunkt unserer unzähligen subjektiven Universen stellt, und wir kultivieren gerne unsere eigenen Rollen und Identitäten, indem wir uns bei dem bedienen, was uns inspiriert, genauso wie wir einigen Erfindungsreichtum darauf anwenden, uns laufend selbst zu feiern. Wir sind unsere eigenen Götter - wir erschaffen, wer wir sind. Natürlich finden Satanisten vielleicht das nicht nach ihrem Geschmack, was andere für sich erschaffen haben, aber als Satanisten verteidigen wir diesen Prozess in unseren Mitmenschen. Wir sind nicht beunruhigt, wenn andere Satanisten uns ansehen und feststellen, dass das, was wir getan haben, in ihren Augen nicht besonders beachtenswert ist oder sie entscheiden, dass sie keine Lust haben, sich mit uns zu befassen. Dies ist die richtige Distanzierung für die, die sich selbst als Götter verehren. Die Church of Satan verlangt weder, dass sich unsere Mitglieder persönlich oder virtuell begegnen, noch verlangen wir, dass sich alle gegenseitig unterstützen. Dass unsere Philosophie eine des radikalen Individualismus ist, bedeutet, dass wir Satanisten de facto Vielfalt begrüßen.
Anton Szandor LaVey war für einen 1930 geborenen Mann ziemlich einzigartig. Als er aufwuchs, erlebte er eine Vielzahl unterschiedlicher Individuen und er hatte Kontakt mit vielen kreativen, künstlerischen und ungewöhnlichen Leuten - von Karnevalskünstlern und diesen einzigartigen Individuen, die in „Freak Shows“ arbeiten bis hin zu stolzen sexuellen Fetischisten, Misanthropen und denjenigen, die wir heute als Menschen aus dem LGBTQ+-Spektrum bezeichnen. Er beurteilte diese Menschen danach, wie gut sie ihren Interessen, Wünschen und Leidenschaften nachgingen - und zollten denen Anerkennung, die die waren, die sie zu sein wünschten, egal ob ihnen Anerkennung von den Massen, zwischen denen sie eingezwängt waren, gezollt wurde oder ob sie heruntergemacht wurden. Diese Menschen könnten aufregend, faszinierend und sogar ärgerlich sein - aber sie waren nicht die langweiligen gläubigen Schafherden, die die typische Mehrheit in jeder Ansammlung von Menschen sind.
LaVey selbst pflegte ein eher extravagantes Aussehen und trug zeitweise einen Umhang, einen Tropenhelm, eine Weste mit Leopardenmuster, Reithosen und sogar rote oder lila Hemden. Eine solche Affektiertheit befriedigte ihn und war Teil seiner vielfältigen Rollen im Show-Business. Als er die Church of Satan gründete, betrachteten einige Journalisten seine Kleidung, seinen rasierten Kopf und den kunstvoll spitzen Bart und entschieden, dass er weibisch sein musste, wodurch sie ihm unterstellten, dass er homosexuell sein könnte. Doktor nahm das locker - er hatte viele schwule Freunde und obwohl er selbst nicht schwul war, war es ihm wirklich egal, was andere denken könnten, und er empfand es nicht als schreckliche Beleidigung. Er war voller Selbstvertrauen in seine Männlichkeit, obwohl er gegen die damals üblichen Wege verstieß, mit denen man das in seiner Bekleidung zum Ausdruck brachte.
Bei der Erschaffung einer Religion, von der er glaubte, dass sie ein gesundes Gegenmittel gegen die repressive Gottgläubigkeit wäre, die er um sich herum erlebte, war die Idee, dass Selbstzufriedenheit, insbesondere sexuelle Erfüllung - solange sie zwischen einwilligenden Erwachsenen erfolgte - ein Eckpfeiler der Fundamente des Satanismus. Bevor LGBTQ+-Personen nicht mehr als an irgendeiner Form von abweichendem Verhalten leidend eingestuft wurden, wie es von der damals vorherrschenden „Wissenschaft“ ja der Fall war und die entweder Unterdrückung oder „Heilung“ forderte, hatte seine Church of Satan schon diejenigen begrüßt, die oft als Abweichler verleumdet oder beschmutzt wurden - die Außenseiter und Parias. Satan wurde in Mythologie und Literatur oft als Befürworter des Verbotenen, des Tabus, des Geheimen dargestellt, und so war er der Ansicht, dass dies die rationale und einzig wirklich satanische Perspektive war, die Teil der Philosophie seiner in den Kinderschuhen steckenden Organisation sein musste. „Abweichung“ war für Anton LaVey eine Tugend, keine Diffamierung. Und so hat die Church of Satan als Teil ihrer Politik die Abweichler und Außenseiter immer freudig nach ihrem eigenen Befinden aufgenommen - den „fremden“ Teil der „fremden Elite“.
Wir von der Church of Satan waren in dieser Hinsicht den meisten anderen Religionen weit voraus. Jetzt, über 50 Jahre später, ist der Rest der fortschrittlichen Gesellschaft hinterhergehinkt. Erst im vergangenen Mai stimmte die Weltgesundheitsversammlung dafür, die diagnostischen Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation dahingehend zu ändern, dass geschlechtsspezifische Abweichungen nicht mehr als psychische Störung beschrieben werden. Wir verweisen stolz auf unsere eigene Vergangenheit - und dies ist kein „Zeichen von Tugend“ -, da es die Welt daran erinnert, was für unsere Prinzipien immer von grundlegender Bedeutung war. Wenn einige Schattierungen des gegenwärtigen Glaubensspektrums jetzt mit unseren langjährigen Standpunkten übereinstimmen, sollten Beobachter dazu ermutigt werden, anzuerkennen, dass wir Satanisten Pionierarbeit für dieses Denken geleistet haben. Satanismus ist keine reflexartige Opposition gegen alles, was um uns herum im Trend liegt. Als mehr Menschen anfingen, häufiger Schwarz zu tragen, veranlasste dies die meisten Satanisten nicht, diese Farbe zu meiden, wenn es ein Farbton war, den sie lieber trugen. Satanisten sind nicht nur Gegenspieler zu dem, was der größte Teil der Gesellschaft gerade macht - wenn sich Menschen in eine Richtung bewegen, die mit unseren Prinzipien übereinstimmt, ist das etwas, das man genießen sollte, nicht ablehnen.
Da sich die Church of Satan seit langem als Zufluchtsort für ziemlich unterschiedliche Arten von Individuen erwiesen hat, obliegt es denen, die sich uns anschließen, zu verstehen, dass sie unter Vielen sind, die nicht wie sie selbst sein werden, abgesehen davon, dass Satanismus ihre selbstdefinierte Philosophie ist. Daher ist der Wunsch inakzeptabel, Mitgliedschaft bei uns in irgendeiner Weise auf diejenigen zu beschränken, die den eigenen Fetisch teilen könnten - sei er soziologisch, politisch, intellektuell oder sexuell. Alle, die darüber grübeln, dass die Church of Satan von irgendwas heimgesucht oder auf andere Weise besudelt ist oder von etwas „gereinigt“ werden müsste, was sie nicht nach ihrem Geschmack finden, würden eine groteske Heuchelei begehen und die rationale Kohärenz des Satanismus selbst untergraben. Mein Aufsatz „Rebels Without Cause“, der sich mit der Psychologie des unbegründeten Abtrünnigen befasst, verwendet ein Zitat unseres Gründers, das die grundlegenden Voraussetzungen für seine Philosophie und Organisation festlegt:
„Satanismus ist die einzige Religion, die der Ermutigung und Unterstützung der persönlichen Präferenzen von jemandem dienlich ist, so lange es Platz für diese Bedürfnisse gibt. Solcherart ist die persönliche und dauerhafte Religion (das Bild) in einen perfekten Rahmen integriert. Es ist ein Festival der Individualität ohne Scheinheiligkeit, der Solidarität ohne Rücksichtslosigkeit, voller sachlicher Subjektivität. Es gibt kein Abweichen von diesen Prinzipien. Zusammen sollen sie internen Streit und Zank verhindern. Jeder Versuch einer satanischen ‚Reformation‘ sollte nur als das gesehen werden, was er ist, nämlich Probleme zu schaffen, wo es keine gibt. In keiner Religion sollte es einen Platz für Reformer geben, deren ureigenste Religion der Fetisch des Reformierens ist. Es gibt sogar einen Ort und einen Titel für solche zwanghaften Dissidenten, und wenn sie die Rolle ausfüllen können, seien sie willkommen. Sie machen sich vor, dass sie Revolutionäre sind. In unserem Lager nennt man sie ‚Hausmasochisten.‘“
- Anton Szandor LaVey
Ich stimme Doktor LaVey in diesen Grundsätzen voll und ganz zu. Während Mitglieder der Church of Satan leicht entscheiden können, welche anderen Mitglieder wirklich gleichgesinnt und gleichorientiert sind, und ihren Umgang auf diejenigen beschränken, die sie sich sorgfältig aussuchen, ist keiner gezwungen, die spezifischen Ziele zu unterstützen, die andere Satanisten auf ihrem Weg zur Erfüllung gewählt haben. Vielleicht finden Sie die Ziele des anderen entweder entzückend, langweilig oder abstoßend - das ist Ihr Vorrecht. Aber Ihre Meinung bezüglich der Anwendung des Satanismus durch Ihre Kollegen auf deren einzigartiges Leben ist weder gefragt, noch sollte sie unaufgefordert angeboten werden. Wir, die wir die von Anton Szandor LaVey begründete Tradition pflegen, erwarten von allen Mitgliedern, dass sie sich für das Privileg ihrer Kollegen einsetzen, aus sich selbst das zu machen, was sie wollen. Wenn Sie unseren höllischen Esprit de Corps, der sich auf vielfältige Weise für Selbstverwirklichung einsetzt, nicht teilen können, sind Sie herzlich eingeladen, die Church of Satan zu verlassen. Jeder, der sich als „Kreuzritter" für eine bigotte, repressive, herablassende oder einschränkende Position betrachtet, geht aus christlicher Sicht vor - und das wurde hierorts nie willkommen geheißen, im Schrein des Teufels.
Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Church of Satan. Alle Rechte vorbehalten.